Kritische Betrachtung von „Kein Täter werden“

 

Meine Kritik am Projekt „Kein Täter werden“ (KTW) ist zunächst, dass schon der Titel suggeriert, dass Pädophile Täter werden bzw. sind. Unterstützt wird diese Wahrnehmung durch die Eigenwerbung: „Lieben Sie Kinder mehr, als ihnen lieb ist?“ Das Bild, das hier gezeichnet wird, bedient Vorurteile und fördert Stigmatisierung. KTW versteht sich als Präventivprogramm um Kinder vor „Missbrauch“ zu schützen.

 

Gründungsmitglied vom „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD)“ Prof. Dr. Klaus M. Beier ist Vordenker der KTW Therapeuten. Sein „Manuale zu Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch“ bildet die Grundlage der Arbeit an den KTW Standorten. Es behandelt die Arbeit mit Erwachsenen und Jugendlichen, die sich als Pädophil wahrnehmen. Dieses Werk verdeutlicht das Menschenbild, das Herr Beier und damit eine Vielzahl der KTW Therapeuten von Pädophilen hat. Pädophile werden auf ihren Sexualtrieb reduziert. Verbunden mit der Vorstellung, sie seien nicht in der Lage, diesen zu regulieren. Zudem fehlen ihnen wesentliche soziale Kompetenzen. Das macht sie zu einer permanenten Gefahr für Kinder. Jede Äußerung eines Pädophilen, die im weitesten Sinn als „Rechtfertigung“ verstanden werden kann, ist ein Manipulationsversuch oder eine kognitive Verzerrung.

 

Die Therapie richtet sich fatalerweise an diesem Bild aus. Es gibt meines Wissens keine andere Minderheit, über die dermaßen vereinfachende Aussagen getroffen werden dürfen. Die absolute Mehrheit der Pädophilen begeht keine Übergriffe auf Kinder. Ihr Beziehungsideal entspricht dem der Mehrheitsgesellschaft. Es umfasst alle Aspekte des Menschseins und ist nicht auf Sexualität reduziert. Pädophile sind vor allem eins: Menschen mit Menschenrechten. Auch wenn ihnen diese immer mehr aberkannt werden.

Herr Beier propagiert ein völlig falsches Täterbild: den pädophilen Mann. Studien belegen: Haupttäter sind Heterosexuelle. Menschen, die Kinder als Ersatzobjekte aus unterschiedlichster Motivation benutzen. Sei es wegen Sexual-, Emotional- oder Gewaltproblematiken. Die Gründe sind vielfältig. Deswegen sind Täter extrem schwer zu erreichen. Prophylaktische Täteransprachen erscheinen kaum möglich.

 

Das Therapieangebot richtet sich an Pädophile, die freiwillig Hilfe suchen. Natürlich wäre schon die Freiwilligkeit zu hinterfragen, angesichts der gesellschaftlichen Situation, in der Pädophile in Deutschland leben müssen. Geht es KTW um die Verhinderung von „Missbrauch“, hat die Mehrheit der Pädophilen ganz andere Problematiken. Sie stehen eben nicht direkt vor einem Übergriff. Sie leiden unter Störungen wie Depression, Niedergeschlagenheit, Selbstabwertung und Suizidalität. Viele erhoffen sich Hilfe für ihre Problematik. Was sie erfahren, kommt meines Erachtens einer Aversions- / Konversionstherapie nahe. Konversionstherapie wurde als Therapie gegen Homosexualität wegen schwerster Folgen verboten. Dabei gilt: Grundsätzlich braucht kein Homosexueller oder Pädophiler eine Therapie, genauso wenig wie ein Heterosexueller, solange er kein Leiden empfindet. Dabei wird das Leiden bei Pädophilen von der Gesellschaft verursacht.

 

Besonders betroffen macht mich das Angebot für Jugendliche (PPJ) unter dem Titel „Du träumst von ihnen.“ Es richtet sich an 12 bis 18-jährige. ZWÖLF !!! Nach der Logik von KTW ist ein 12-Jähriger also Opfer oder Täter. Je nach dem. Das weckt böse Erinnerungen an das Onanieverbot oder die Sorge, ein Kind könne homosexuell sein. Das Problematisieren der sexuellen Entwicklung mit all ihrer Vielfältigkeit, erschwert das „sich-finden“. In meinen Augen ein Eingriff in die Persönlichkeitsentwicklung, der massive Schäden nach sich ziehen wird. Bei KTW werden Angehörige als „Kontrollinstanz“ benutzt und das Kind bzw. der Jugendliche gedrängt sich zu outen. Wenn rechtliche Vorgaben wichtiger sind als der Mensch, dann verliert der Mensch. Während der Pubertät brauchen Kinder und Jugendliche eine vorurteilsfreie, einfühlsame Begleitung, sofern sie diese wünschen. Was KTW macht ist Missbrauch.

 

Verwerflich an dem KTW Programm, und das gilt für Erwachsene wie für Pubertäre, ist das Ausnutzen einer sehr verletzlichen Lage. Wenn sich ein Mensch nach langem innerem Ringen einem anderen Menschen öffnet, dann gibt er diesem Menschen eine sehr große Macht. Dies passiert regelmäßig in einem Coming-out-Prozess. Mit dieser Verantwortung sollte ein Therapeut umgehen können. Er muss wissen, die Beziehung ist asymmetrisch, er kann nicht von Einwilligungsfähigkeit ausgehen. Zunächst müsste diese etabliert werden. Bei KTW nutzt man diese Verletzlichkeit: Menschen stimmen einer „Therapie“ zu, deren Absicht und Folgen sie nicht annähernd begreifen. Scheinbare Annahme, um ein therapeutisches Setting zu installieren, bei dem der Hilfesuchende eine Definition erfährt, aus der man ihn nicht mehr entlässt.

 

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